Konzentrationslagerüberlebende zu Gast in Lingen Maximilian-Kolbe-Werk arrangiert mit LWH Austausch

Artikel vom 13. Juli 2015 Sechs Damen und Herren aus Polen wurden am Freitagnachmittag in Lingen im historischen Rathaus empfangen. Sie überlebten den Terror der Nationalsozialisten, die ihnen in den Lagern Auschwitz-Birkenau, Dachau, Mauthausen und Ravensbrück unsägliches Leid zugefügt haben.

Lingen Empfang polnische KZ Ueberlebende 18

Foto: Die Polnischen  KZ-Überlebenden wurden von der Vorsitzenden des LWH-Trägervereins, Dr. Birgit Stoßberg (2. v. links), Studienleiter Markus Wellmann (rechts) und Dolmetscherin Marianne Drechsel-Gillner (3. v. links) begleitet

Lingen. Die sechs polnischen Bürgerinnen und Bürger besuchen vom 4. bis 19. Juli das Ludwig-Windthorst-Haus (LWH) in Lingen. Das Maximilian-Kolbe-Werk hat diesen Austausch in Zusammenarbeit mit dem LWH organisiert. Studienleiter des „Zeitzeugenprojekts“ ist Markus Wellmann. Lingens zweite Bürgermeisterin Monika Heinen empfing die KZ-Überlebenden aus Polen im historischen Rathaus und sagte: „Es ist mir eine große Ehre, Sie in Lingen begrüßen zu dürfen. Es ist auch ein Moment der Überlegung.“ Die zweite Bürgermeisterin bat Wieslawa Borysiewicz, Alicia Kubecka, Barbara Piotrowska, Bogdan Chrześciański, Andrzej Waclaw Korczak-Branecki und Stefan Szot offiziell nach über 70 Jahren im Namen Aller um Verzeihung und erklärte: „In einem ökumenischen Friedensgebet gedachten im Mai in Lingen viele Menschen dem Ende des größten militärischen Konfliktes in der Geschichte der Menschheit.“ In ihren Grußworten, die Marianne Drechsel-Gillner übersetzte, ging Heinen auf das Ende des zweiten Weltkrieges in Lingen ein.

Auf dem Gelände, auf dem heute die Hochschule und die Halle IV mit der Kunsthalle beherbergt ist, hat vor und während des Krieges das Reichsbahn-Ausbesserungswerk (RAW) gestanden. Es hat mit seinen Reparaturwerkstätten für Dampfloks und Waggons zu den kriegswichtigen Betrieben in Lingen gezählt. Für die deutschen Eroberungskriege und die Versorgung der deutschen Besatzungstruppen war ein funktionierendes Eisenbahnwesen unbedingt notwendig gewesen. Monika Heinen erwähnte, dass 1938 im RAW 1400 Menschen gearbeitet hätten. Im Herbst 1942 sei die gesamte Lokabteilung mit 250 Mitarbeitern ausgelagert und in das Eisenbahnausbesserungswerk im ukrainischen Saporoshje überführt worden, erklärte Heinen und betonte: „Nach der deutschen Niederlage von Stalingrad und dem Vorrücken der Roten Armee wurde die Lingener Lokabteilung mehrfach bis auf die Krim und schließlich in das Baltikum zurückverlegt. Im RAW Lingen wurde der Betrieb bis kurz vor Kriegsende Anfang April 1945 mit Frauen und ausländischen Zwangsarbeitern aus der Ukraine, den Niederlanden und Kriegsgefangenen aus Frankreich, Belgien, Italien und Russland.“ Zum dunkelsten Kapitel in der Geschichte Lingens zähle, dass im Altkreis Mitte August 1943 über 1.400 Kriegsgefangene im Arbeitseinsatz gewesen seien, so Heinen, die ergänzte: „Viele arbeiteten in der Landwirtschaft, das RAW war aber der Betrieb mit den meisten Zwangsarbeitern, in dem im Mai 1944 insgesamt 507 Zwangsarbeiter, 247 Kriegsgefangene und 262 Fremdarbeiter arbeiteten. Die Ostarbeiter erhielten weniger Lohn, waren rechtlich benachteiligt und bekamen eine schlechtere Verpflegung. Sie kamen überwiegend bei Reinigungsarbeiten und einfacheren Hilfstätigkeiten zum Einsatz, wurden zu Arbeitskolonnen zusammengefasst und unterstanden einem deutschen Vorarbeiter.“

Die schweren Luftangriffe am 21. Februar und am 21. November 1944 hätten in erster Linie dem RAW gegolten. Dabei seien neben zahlreichen Zivilisten und Eisenbahnern auch Kriegsgefangene sowie Zwangsarbeiter ums Leben gekommen, da man ihnen den Zugang zum Bunker verwehrt habe. Die Werksanlagen seien größtenteils zerstört worden. „46 Jahre nach Kriegsende folgten 1991 ehemalige Zwangsarbeiter aus der Ukraine der Einladung der Stadt und besuchten Lingen. Zehn Jahre später wurde als Erinnerung für die Zwangsarbeiter an der Halle IV ein Denkmal vom Lingener Künstler Friedel Kunst enthüllt.“

Als 2012 polnische KZ-Gefangene Lingen besuchten, sagten sie: „Wir müssen aufpassen und alles Notwendige tun, damit sich die Vergangenheit nicht wiederholt und dass sie das Erlebte nicht vergessen können, nur christlich verzeihen.“ Heinen sagte: „Nach über 70 Jahren möchte ich im Namen Aller um Verzeihung bitten. Sich zu erinnern ist für Sie sicher nicht leicht und oft sehr schmerzhaft. Doch vielleicht kann die Begegnung mit der Vergangenheit für Sie auch ein kleines Stück Lebens- und Leidensbewältigung sein. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihren Besuch.“

Die Damen und Herren aus Polen freuten sich besonders, dass ihnen die Jugend interessiert zuhöre. Sie waren aber ebenso glücklich, dass sie bei vielen Exkursionen in Lingen und der Region so viele liebe Menschen kennengelernt haben. Sie wurden dabei von der Vorsitzenden des LWH-Trägervereins, Dr. Birgit Stoßberg begleitet.

Zur Person:

Alicia Kubecka wurde am 5. Februar 1927 in Warszawa (Warschau) geboren und am 6. September 1945 in das KZ Ravensbrück deportiert, wo sie am 2. Mai 1945 befreit wurde.

Bogdan Chrześciański wurde am 7. Januar 1945 im KZ Auschwitz-Birkenau geboren. Sein Vater starb am 5. Januar im KZ Natzweiler, Bogdan und seine Mutter Henryka wurden am 27. Januar 1945 befreit.   Andrzej Waclaw Korczak-Branecki wurde am 15 Januar 1930 in Warszawa geboren. Er wurde am 12. September 1944 ins das KZ Dachau, am 26. Dezember in das KZ Buchenwald, am 25. Januar 1945 in das KZ Natzweiler, im April 1945 in das KZ Flossenbürg und Ende April in das KTZ Dachau deportiert. Andrzej Waclaw überlebte dabei auch zwei Todesmärsche. Am 29. April 1945 wurde er von US-Truppen befreit.

Wieslawa Borysiewicz wurde am 31. Juli 1929 in Warszawa geboren. Nach dem Warschauer Aufstand wurde sie verhaftet und durchschritt am 12. August 1944 das Todestor des KZ Auschwitz-Birkenau. Am 17. Januar 1945 wurde sie in ein Außenlager des KZ Sachsenhausen verlegt. Danach kam sie kurzzeitig nach Leipzig und dann nach Berlin, wo sie befreit wurde.

Barbara Piotrowska wurde am 30. November 1935 in Lwów (Lemberg) geboren. Im September 1944 wurde sie von den Nazis zunächst in das Durchgangslager Pruszków bei Warszawa gebracht und später in das KZ Ravensbrück. Nach dem Todesmarsch Richtung Weimar wurden sie von den US-Truppen befreit.

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